In Zazen kann die Zeit unser Freund werden

In den Notwendigkeiten des Alltäglichen scheint die Zeit manchmal unser Gegner zu sein. Sie vergeht zu schnell oder zu langsam, scheint uns unter Druck zu setzen, uns zu drängen oder uns einzusperren.

Wir empfinden dies oft so, weil unser konditioniertes Bewusstsein und die Zeit wie geteilt scheinen und unser geschäftiges Bewusstsein die Zeit mit allem möglichen „dekoriert“.

Doch die eigentliche Zeit ist bar jeder „Dekoration“ und eins mit der Energie des Seins. In unserer Vorstellung gehen wir davon aus, dass unser Leben eine feste Substanz ist, von der durch die Vergänglichkeit Tag für Tag etwas weggenommen wird. Doch es ist in Wirklichkeit diese einseitige Vorstellung die uns behindert und gefangen hält.  Im „sich hineinwenden“ in Zazen wird es möglich eben diese Welt der begrenzenden Vorstellungen loszulassen.

In Zazen, im Zazen-Geist, kann die Zeit wieder unser Freund werden. In einem Augenblick des vollständigen Sitzens gibt es da nichts als die „reine Zeit“ und uns selbst -  als eine in sich ruhende Ganzheit. Der Augenblick kommt von nirgendwoher und geht nirgendwohin. Wir selbst und der Augenblick können eins werden. Dieser „ganze Augenblick“ füllt dann die zehn Richtungen aus. Und dann füllt die Präsenz „der Ganzheit“ das ursprüngliche Selbst aus und bringt den nächsten Augenblick hervor, der uns von neuem in sich aufnehmen kann.

Wir sagen dass unser Leben vergeht und dass die Dinge vergehen. Doch dieses „vergehen“ bedeutet nicht notwendigerweise Zerstörung. Das Fließen eines Flusses ist nicht Zerstörung, sondern sein Leben.

Man sagt im Zen dass dieser Augenblick nicht zurück kommt und dass wir ihn deshalb „gut tun“ oder „ganz tun“  sollen. Das bedeutet auch, dass ein neuer Augenblick schon bereit ist uns aufzunehmen, und je tiefer wir den gegenwärtigen Augenblick ausfüllen, umso ruhiger fließt der Fluss der Zeit und umso ruhiger kann der nächste Augenblick uns aufnehmen.

Wir leben weil Leben vergänglich ist, und darüber hinaus gibt es in der Tiefe der Vergänglichkeit etwas von unwandelbarer Natur, ewiges Potential, Ku, Buddha-Natur. Die Dynamik des „Vergehens“ ist in Wirklichkeit der zeitlose Strom und es ist die Energie seines unbehinderten Fließens das unsere Existenz nährt, stützt und erneuert.

Deshalb ist es unsere Aufgabe eine transparente Form und Haltung zu finden und auszuüben. Eine Form und Haltung die das Fließen nicht behindert.

Innerhalb der angelegten Begrenzung unseres Bewusstseins sehen wir immer Anfang und Ende, das liegt in der Natur dieses Bewusstseins und wir können diese Begrenzung nicht durch einen willentlichen Akt öffnen.  Doch die Realität das Leben vergänglich ist, ist eigentlich das Leben „an sich“, das seine eigene Weise hat sich fortzusetzen. Wir sollten dieses „an sich“ erfahren und uns nicht an den Begrenzungen unserer Vorstellung festklammern. Dieses „an sich“ ist die Substanz des „Jetzt“, die es ermöglicht ein neues Jetzt hervorzubringen. Deshalb ist das „Jetzt“ der große Schatz den wir alle gemeinsam besitzen.

Narita Roshi sagte - bei einem unserer ersten längeren Aufenthalte in Todenji vor fast 40 Jahren: „Das, was jetzt noch nicht Form oder Begrenzung ist, wird durch unser Verlangen oder Erlangen-wollen Form und Begrenzung. Verlangen und Form/Objekt bedingen sich wechselseitig.

Wir können nicht durch unseren Willen oder unser persönliches Bewusstsein die Begrenzungen dieser Welt der Vergänglichkeit aufheben. Es ist einfach die Art und Weise, wie alle Dinge sind, oder existieren.

Aber wir können Mugen, die Welt ohne Begrenzungen, die Welt der Leerheit kosten, schmecken, indem wir über unsere Vorstellung von der Vergänglichkeit hinausgehen.

Das ist möglich, weil die Welt der Vergänglichkeit so ist, wie sie ist. Anders gesagt: Shiki ist (Form ist Leerheit), aber dieses (Leerheit, Potential, Quelle) befindet sich nicht in einem Bereich der getrennt ist von der Existenz.

Nehmt zum Beispiel Eure Hand: In der Welt der Vergänglichkeit ist Eure Hand ohne Eigensubstanz, und sie vergeht.

Eure Hand existiert nicht aus sich selbst. Wir können sie jedoch nicht durch unseren Willen vergehen lassen und der Versuch würde eine völlige Kluft zwischen Euch und der Hand bedeuten.

Obwohl die Hand nicht aus sich selbst existiert und vergeht, können wir sie dennoch benutzen. Das ist wirkliche authentische Form – das Wirken von Ku in Shiki.

Deshalb sollten wir die „Welt der Leerheit“ nicht anderswo oder in Zukunft suchen, sondern beständig in Reichweite unserer Hände finden. Wir sollten unsere eigene Existenz mit beharrlicher Entschlossenheit erforschen, ohne etwas zu verlangen oder bekommen zu wollen, und wir sollten die Quelle unserer Existenz nicht anderswo suchen, sondern sollten ihrer beständig gewahr sein und sie schmecken als natürliche Geistverfassung.

Genau das ist Mugen, die unbegrenzte Welt.

In diesem großen Universum des Buddha, oder der Buddha-Natur, sollten wir dies nie aus den Augen verlieren, und ich wünsche von Herzen, dass ihr diese Realität jeden Tag eures Lebens schmecken könnt.“

Diese Worte von Meister Narita haben uns damals sehr bewegt und tief berührt. Sie sind wie zeitlos präsent in mir.

In der Tiefe des Geistes kann die Begrenzung „fallen“  und der zeitlose Strom ist da, wird aktualisiert. Würde dieser Augenblick nicht vergehen, gäbe es kein Leben. (Es gäbe nichts im Sinne von absoluter Negation)  Doch Buddha-Weg meint die Art und Weise wie wir in diesem Augenblick sind und wie wir ihn tun. Zazen, Kinhin, Sampai geben uns eine tiefe Form, in der unser Geist unbewusst, natürlich ruhig und friedvoll werden kann, indem die Begrenzung selbst transparent und durchlässig wird. In dieser Transparenz liegt das Geheimnis der Praxis.

Sawaki Roshi sagte: „Unser herumirren in der Samsara-Welt beginnt genau in dem Augenblick in dem wir uns von der Ganzheit des Universums, von der Ganzheit des Augenblicks trennen und unseren Illusionen nachlaufen.“

Zazen, oder die Praxis an sich, gibt uns die große Möglichkeit in die „Zeit der Ganzheit“ zurück zu kommen. Das ist der beste Ausgangspunkt für unser alltägliches Leben und es ist der Ozean der Stille in die unser Leben wieder einmünden kann.

Von Herzen Dank

L. Tenryu

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