Die Einheit von Ursache und Wirkung
Eine große Ermutigung
Liebe Freundinnen und Freunde,
hier in Berlin, wie auch in anderen Dojos, haben wir jetzt schrittweise wieder die Praxis im Dojo begonnen, wenn auch in eingeschränkter Form und mit gesteuert-begrenzter Teilnehmerzahl, doch ich denke, alle freuen sich. Eigentlich sollte dies unser selbstverständliches Leben sein und wir müssen darauf achtgeben, dass wir diese „Selbstverständlichkeit“ zurück erhalten.
Zu dem Thema: „Ursache und Wirkung sind eins“ möchte ich Euch einen Text von Katagiri Roshi vorlesen, den ich etwas „verdichtet“ habe, um die Kernaussage so deutlich wie möglich werden zu lassen. Es könnten auch Worte von Meister Deshimaru sein oder von Narita Roshi oder anderen Meistern der Übermittlung, denn sie gaben, alle auf ihre Weise, den gleichen zeitlosen Geist des Weges weiter.
Katagiri Roshi: "Wir denken, dass Ursache und Wirkung voneinander getrennt sind, weil im Reich des Zeitprozesses zuerst die Blume blüht und die Frucht erst später folgt. Aber laut buddhistischer Philosophie existieren Ursache und Wirkung nicht nur im Reich der Zeit. Sie existieren auch im Reich des Raumes. Im Reich des Raumes sind die provisorischen Bezeichnungen „Ursache“ und „Wirkung“ aufgelöst und Ursache und Wirkung sind gleich.
Was bringt uns dazu zu SITZEN? Dahinter steht mehr als nur unsere Idee – da ist eine Art Energie, die schon da war, bevor wir sie benannt haben. Jenseits der Begriffe wie „Buddha“ oder „wahres Selbst“ ist es die ursprüngliche Energie der gesamten Welt, die grenzenlose und mitfühlende Energie des Seins, die ununterbrochen, wie Quellwasser aus der Tiefe, heraufdringt. Die ursprüngliche Energie ist immer hier, aber es ist schwer sie zu sehen oder zu berühren.
Trotzdem, wenn ihr in Zazen sitzt, Shikantaza, könnt ihr „etwas“ berühren, das Euer Leben zum leben bringt, weil die Quelle des Zazen nichts anderes als diese ursprüngliche Energie ist. Diese Energie ist gleichzeitig die Quelle Eures Lebens. Also habt ihr und Zazen dieselbe Ursache. Aus diesem Grund könnt Ihr diese Energie der ganzen Welt annehmen, wenn sie in Eurer Zazen-Praxis erscheint. Alles was Ihr tun müsst ist, mit Beharrlichkeit Eure Übung weiter zu führen. Zuerst müsst Ihr Zazen ohne Ziel praktizieren. Danach könnt Ihr ein Ergebnis sehen.
Dann erscheint die Frucht in der ganzen Welt als Wirkung. Wir sagen manchmal: „Buddha erscheint und Buddha formt sein eigenes Leben.“ Wir sagen dies, weil wir Buddha als Ursache unseres Zazen praktizieren und Buddha als Wirkung von Zazen erscheint."
Dogen Zenji drückte es so aus: „Das Formen der Frucht ist abhängig von Eurem Formen der Frucht. Dies nennt man „reifen von selbst“. „Reifen von selbst“ bedeutet, die Ursache zu kultivieren und das Ergebnis zu erfahren.“
„Kultivierung der Ursache“ bedeutet, Euer Denken abfallen zu lassen sowie ruhig und rein zu werden. Dann akzeptiert Ihr die Energie des ganzen Universums als die Ursache und seht die Energie des ganzen Universums als Wirkung. In diesem Moment sind im Reich des Zazen Ursache und Wirkung gleichzeitig da. Das ist Leben über das Leiden hinaus, als die Frucht von Zazen. Dies ist das Reifen Eurer gesamten Persönlichkeit, in der Bedeutung von „reifen aus sich selbst heraus“.
Egal welchen Beruf oder welches Talent ihr habt, wenn ihr Euch richtig entfalten wollt, müsst ihr es jeden Tag praktizieren. Dann wird die Praxis in Eurem Alltagsleben ankommen und Euer Leben beleuchten. Das Alltagsleben ist ziemlich geschäftig. Aber wenn Ihr ruhig werdet, könnt ihr das Herz Eurer Aktivität berühren, egal was es ist. Vergesst also Eure Gedanken wenigstens für einen Moment. Seid einfach in der Energie und öffnet Euch selbst. Ganz natürlich wird die Frucht des Bodhi-Geistes geformt. Diese Ursache und Wirkung wird inen kaman genannt. In bedeutet „Ursache“, en ist „rund“ oder „vollkommen.“ Ka bedeutet „Ergebnis“ oder „Wirkung“ und man ist „Fülle, Perfektion oder Vollendung“, wie der volle Mond. Also ist die Ursache perfekt und die Wirkung ist perfekt. Das ist die Praxis des Buddha-Weges. Unaufhörlich, unter allen Umständen, können wir zum Einssein zurück kommen und von diesem Ort aus verkehren wir mit uns selbst und den anderen.
Meister Deshimaru sagte:
„Durch die ganzherzige Übung des Weges könnt ihr die persönlichen Kategorien übersteigen und direkt das Leben der Natur und das wahre Leben der Menschen berühren. Ihr tretet in das Leben der Natur ein. Die Natur tritt in Euer Leben ein und es gibt Vereinigung. In diesem Moment manifestiert sich Euer wahres Selbst und Ursache und Wirkung werden eins. So könnt Ihr der kosmischen Ordnung folgen.“
Da wir in diesem Frühjahr weder die Studienwochen noch das Frühjahrs-Sesshin noch das Niederrhein-Sesshin abhalten konnten, konnten wir auch die Zeremonie zur Erinnerung an Meister Deshimarus Todestag und an sein Leben nicht wie gewohnt durchführen. Wie so manches Mal in diesen Tagen macht uns gerade das „nicht tun können“ den Wert der Dinge auf durchdringende Weise bewusst. Jenseits aller Spekulationen über die Zukunft sollten wir das, was wir erhalten haben, als unseren Schatz des Lebens weiter nähren und reifen lassen, so dass er aus sich selbst heraus Früchte trägt, Früchte die ihre eigene Wirkung erzeugen und entfalten können. Wir können dies tun aufgrund des großen Mitgefühls der Buddhas und Patriarchen, die oft unter schweren Bedingungen den Weg übermittelt haben. Deshalb sollten wir uns selbst nicht zu schade sein, in Schwierigkeiten standzuhalten.
Ich sage dies in großer Dankbarkeit gegenüber den wahren Menschen der Übermittlung, dem großen Menschen des Weges Taisen Deshimaru und in großer Dankbarkeit gegenüber Euch, die ihr den Weg in die Zukunft tragt, dadurch dass Ihr ihn geht, ihn ausübt.
Ich hoffe sehr, dass wir uns alle im Sommer-Sesshin treffen können. Sampai von Herzen
L. Tenryu
3. Woche im Mai 2020